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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 28.02.2005
Aktenzeichen: 3 VAs 9/05
Rechtsgebiete: StGB, StVollStrO
Vorschriften:
StGB § 63 | |
StGB § 64 | |
StGB § 67 d V | |
StVollStrO § 44 b |
2. Ein Abweichen von der Regel des § 44 I StVollstrO - Maßregel vor Strafe - ist dann gerechtfertigt, wenn durch den Vorwegvollzug der Strafe der Zweck der Maßregel leichter erreichbar ist, d. h. die Rehabilitation gefördert wird.
3. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Verurteilte bei Vorwegvollzug der Maßregel und deren voraussichtlichen Dauer vor einer Entlassung in die Freiheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt noch längere Zeit Freiheitsstrafe (hier: 8 Monate) verbüßen müsste.
4. Eine Fortsetzung des Maßregelvollzugs gem. § 67 d IV 2 StGB kommt bei der Vollstreckung aus verschiedenen Erkenntnisverfahren nicht in Betracht.
3 VAs 43/04 3 VAs 9/05
Gründe:
Der Verurteilte wurde durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10.06.2002 (3240 Js 214658/01) wegen Diebstahls unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 07.02.2001 (60 Js 28674/99) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie wegen Betruges in zwei Fällen und Raubes zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Zur Zeit verbüßt er die Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, der Halbstrafenzeitpunkt ist auf den 12.06.2005, der Zweidritteltermin auf den 11.10.2005 notiert. Zuvor hatte der Verurteilte die Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verbüßt, deren Vollstreckung zum Zweidrittelzeitpunkt am 12.06.2004 unterbrochen wurde.
Am 30.03.2005 wurde der Verurteilte durch Urteil des Amtsgerichts Michelstadt (420 Js 5922/03 Ls) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 24.11.2004 wurde gemäß § 44 b Abs. 2 StVollstrO bestimmt, dass die Strafverbüßung in der Sache 3240 Js 214658/01 Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main bis zum Zweidrittelzeitpunkt am 11.10.2005 zu vollstrecken und anschließend die in der Sache 420 Js 5922/03 angeordnete Unterbringung in eine Entziehungsanstalt zu vollziehen ist.
Gegen diese Entscheidung hat der Verurteilte am 15.12.2004 Einwendungen erhoben. Diese wurden vom Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main mit Bescheid vom 14.01.2005 - zugestellt am 21.01.2005 - als unbegründet verworfen.
Der Verurteilte hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 14.2.2005, eingegangen am gleichen Tag, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt mit dem Antrag, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Darmstadt und den Bescheid des Generalstaatsanwaltes aufzuheben und den sofortigen Vollzug der Maßregel anzuordnen.
Des weiteren hat er beantragt seine Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwältin X, als Pflichtverteidigerin zu bestellen, hilfsweise ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Der Antrag ist zulässig.
Gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde gemäß § 44 b StVollstrO entscheidet gemäß § 21 StVollstrO zunächst die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht und anschließend nach § 23 ff. EGGVG das Oberlandesgericht (vgl. Senatbeschluss vom 09.08.1999 - 3 Ws 722/99; Pohlmann/Jabel/Wolf, StrVollstrO, 8. Aufl., § 44 b Rn. 7; jew. m. w. N.). Nach der im vorliegenden Fall durchgeführten Vorschaltbeschwerde gemäß § 21 StrVollstrO ist der Antrag form- und fristgerecht eingereicht worden.
Der Antrag hat jedoch keinen Erfolg.
Für den hier gegebenen Fall des Zusammentreffens der Vollstreckung von Freiheitsstrafe und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aus verschiedenen Erkenntnisverfahren hat der Gesetzgeber eine Bestimmung der Reihenfolge nicht getroffen. Nach § 44 b Abs. 2 StrVollstrO wird die Reihenfolge der Vollstreckung von Straf- und Maßregel aus verschiedenen Urteilen von der Vollstreckungsbehörde bestimmt. Die Vorschrift des § 44 b Abs. 1 StrVollstrO regelt, wie das den Vollstreckungsbehörden eingeräumte Ermessen auszuüben ist (vgl. OLG Hamm, NStZ 1999, 535 ff.; OLG Nürnberg, NStZ 1990, 152). Demnach wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen, es sei denn, dass der Zweck der Maßregel durch den vorherigen Vollzug der Strafe oder eines Teiles davon leichter erreicht wird. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Vollzug der Maßregel auf die Strafe nicht angerechnet wird. Ob in Umkehrung der im Regelfall vorgesehenen Reihenfolge der Vorwegvollzug der Strafe gerechtfertigt ist, hat die Vollstreckungsbehörde nach den individuellen Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Persönlichkeit des Täters, der Länge der Freiheitsstrafe und der notwendigen Behandlung zu entscheiden. Die Prüfung hat darauf abzustellen, ob der Zweck der Maßregel leichter erreichbar ist, d. h. die Rehabilitation gefördert wird. Zweck der Maßregel des § 64 StGB ist es, durch heilende oder bessernde Einwirkung auf dem Täter die von ihm ausgehende Gefahr weiterer Taten abzuwenden oder zu verringern. Gerechtfertigt ist der Vorwegvollzug der Strafe, wenn die Behandlung der Entlassung in die Freiheit unmittelbar vorhergehen sollte, weil ein sich anschließender Strafvollzug die positiven Auswirkungen des Maßregelvollzugs wieder gefährden würde (BGH NJW 1986, 143; OLG Hamm a. a. O.; OLG Nürnberg a. a. O.; OLG Stuttgart, NstZ 1989, 344; Pohlmann/Jabel/Wolf, a. a. O., Rn. 2).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft nicht zu beanstanden. Dabei ist gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG die gerichtliche Nachprüfung beschränkt auf die Einhaltung der Ermessensgrenzen und auf Ermessensmissbrauch.
Zwar ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Verurteilte nach dem im Verfahren vor dem Amtsgericht in Michelstadt erstatteten Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Y notwendigerweise einer Therapie bedarf, da es sich um einen Menschen mit einer schweren, chronifizierten Abhängigkeitserkrankung (Alkohol und Kokain) mit entsprechender Persönlichkeitsdeprivation, verbunden mit einer Einschränkung der sozialen Verantwortungsfähigkeit handelt. Jedoch ist andererseits der Umstand mit einzubeziehen, dass der Verurteilte auch bei erfolgreichem Abschluss der Therapie im Maßregelvollzug im Anschluss die in dem Verfahren 3240 Js 214568/01 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren weiter bis zum Erreichen den Zweidrittel- Zeitpunktes verbüßen müsste, ehe eine Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB in Betracht kommt. Eine Anrechnung der Unterbringung im Maßregelvollzug nach § 67 Abs. 4 StGB auf die derzeit verbüßte Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt kann gemäß § 44 b Abs. 1 S. 2 StrVollstrO nicht erfolgen, eine Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB erscheint im Hinblick auf das neben dem Vorliegen einer günstigen Sozialprognose noch zusätzliche Erfordernis "besonderer Umstände" eher unwahrscheinlich. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG nach Beendigung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kommt in der Regel nicht in Betracht. Die Unterbringung des Verurteilten nach § 64 StGB zielt auf einen erfolgreichen Abschluss der dortigen therapeutischen Bemühungen ab. Dies bedeutet aber, dass es bei erfolgreichen Abschluss des Maßregelvollzugs weiterer therapeutischer Maßnahmen nicht mehr bedarf. Damit ist die Basis für eine Zurückstellung nach § 35 BtMG wegen der dann fehlenden Therapiebedürftigkeit entfallen (vgl. Körner BtMG 4. Aufl., § 35 Rn. 29, 42). Umstände, die hiervon eine Ausnahme gebieten könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Verspricht die Therapie keine Aussicht auf Erfolg, so ist gemäß § 67 d Abs. 5 StGB die Unterbringung für beendet zu erklären und der Untergebrachte in den Strafvollzug zurückzuverlegen (Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 67 d Rn. 7 ff.). Eine Fortsetzung des Maßregelvollzugs gemäß § 67 Abs. 5 S. 2 1. Hs. StGB kommt in diesem Fall schon deswegen nicht in Betracht, da diese Vorschrift bei der Vollstreckung aus verschiedenen Erkenntnisverfahren nicht anwendbar ist und nur dann gilt, wenn die Unterbringung neben der noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafe in dem selben Urteil angeordnet worden ist (Tröndle/Fischer, a. a. O., § 67 Rn. 2). Auch in diesem Fall wäre für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG wegen fehlender Therapiebereitschaft in der Regel kein Raum (Körner, a. a. O., Rn. 95 ff.).
Im vorliegenden Fall müsste der Verurteilte daher vor Entlassung in die Freiheit zur Zeit noch ca. 8 Monate Freiheitsstrafe verbüßen. Alle Programme des Maßregelvollzugs zielen darauf ab, den Maßregelpatienten in Freiheit zu entlassen, so dass eine anschließende Strafvollstreckung höchst schädlich ist. (OLG Hamm, a. a. O.; Polmann/Jabel/Wolf a. a. O.). Müsste der Verurteilte nach Abschluss einer erfolgreichen Maßnahme nach § 64 StGB noch ca. 8 Monate Haft verbüßen, so würde dies dem Zweck des Maßregelvollzugs zu wider laufen und den Therapieerfolg gefährden.
Die angefochtene Entscheidung, trotz eines dringenden Heilungsbedürfnisses zuerst die Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren bis zum Zweidrittelzeitpunkt zu vollstrecken, ist daher nicht ermessensfehlerhaft.
Der Antrag auf Bestellung von Rechtsanwältin X als Pflichtverteidigerin ist zurückzuweisen, da im Verfahren nach § 23 EGGVG die Sondervorschrift des § 29 Abs. 3 EGGVG gilt, wonach insoweit nur die Vorschriften über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe in Betracht kommen (Meyer/Gossner, StPO, 47. Aufl., § 29 EGGVG, Rn. 5).
Wegen Aussichtslosigkeit ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ebenfalls zurückzuweisen, §§ 29 Abs. 3 EGGVG, 114 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 130 Kostenordnung. Die Festsetzung des Geschäftswertes findet ihre Grundlage in §§ 30 Abs. 3 EGGVG, § 30 KostO.
Ende der Entscheidung
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